Digital Lifestyle: Warum wir über "Privacy Anxiety" reden müssen

Data Privacy braucht nicht noch mehr Aufmerksamkeit. Es braucht die richtige Art von Aufmerksamkeit.

Als Pflichtaufgabe, juristische Fragestellung und mehr oder weniger leidiges Admin-Thema steht Datenschutz regelmäßig auf der Management-Agenda. Übersättigt mit DSGVO-Anforderungen, Cookie-Bannern und Recht auf Vergessen übersieht man leicht, dass der Schutz der Kundendaten im Zeitalter der Digitalisierung den Kern eines jeden Business mit Online-Kanälen berührt. Tatsächlich kann es eine Schlüsselrolle in der Kommunikation und für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens einnehmen.

Dafür verantwortlich ist ein Phänomen, das im Digital Lifestyle heute so beunruhigend ist wie es vorhersehbar war: Privacy Anxiety.

 

Die Psychologie der Kunden im Blick

Ich möchte also nicht bemängeln, dass zu wenig über Privacy gesprochen wird. Datenschutz ist im Business-Kontext vom C-Level bis hinab in nahezu alle Unternehmensabteilungen präsent. Jedoch mit einer sehr eingeschränkten Fragestellung:

  • Wie erfülle ich die minimalen Auflagen?
  • Wie sichere ich mein Unternehmen rechtlich ab?
  • Wie kann ich rechtliche Vorgaben und mit dem unabdingbare Sammeln, Vorhalten und Verwenden von in der Technik und im Marketing vereinbaren?

Nahezu unberührt davon und unverbunden steht daneben die private Perspektive auf den verantwortungsvollen Umgang mit persönlichen Daten, die ebenfalls jede und jeder kennt: die mentale Belastung des „always-on“ Digital Overkill.

Der Griff zum Smartphone direkt nach dem Aufwachen, Social Media Posts speziell konzipiert für den Bedtime-Scroll, 80- bis 100- mal täglich der Griff zum mobilen Endgerät, Fear Of Missing Out (verniedlichend "FOMO" genannt), wenn man länger als drei Stunden nicht aufs Handy geschaut hat… Besorgnis über einen ungesunden Digital Lifestyle sind heute kein Tabu-Thema mehr und gehören selbst bereits zum Zeitgeist: ‚Digitalisiere dich!‘ Aber: ‚Wisse auch mal abzuschalten‘… am besten mit Mobile-Apps zur Selbstoptimierung.

Konkrete Maßnahmen bleiben bislang auf die Ebene des betroffenen Individuums beschränkt. Die Betroffenen seien für sich selbst verantwortlich, müssten wenn etwas nicht guttue, das eigene Verhalten ändern oder – falls es ganz arg sei – eben eine Therapie machen.

Ich glaube, das ist ein gefährlicher Trugschluss. Denn diese beiden Perspektiven gehören zusammen.

Personal Data Privacy als Privat-Sache missverstanden

Zwei Überzeugungen – falsche Überzeugungen, wie ich argumentieren möchte - führen in eine trügerische Sicherheit. Zum einen scheint zunächst nicht evident, warum die Auswirkung des Digitalkonsums im Privatleben auf eine Businessverantwortung zurückführen sein sollte. Wir haben erfolgreich „Konsument als Marktteilnehmer“ und „Privatperson“ getrennt und vergessen dabei, dass es ein und derselbe Mensch ist. Diese Trennung ist so scharf, dass selbst wenn es jemandem gelingt, seine psychische Gesundheit nach einer Digitalabhängigkeit wiederherzustellen. Die als Beleg dafür angeführt wird, dass es tatsächlich berechtigt ist, alles auf die individuelle Verantwortung zu reduzieren. Auf den Gedanken, dass die Mehrheit, der es nicht gelingt, ein Beleg für das Gegenteil sein könnte, kommt man nicht.

Zum anderen ist die Ansicht fest verankert, dass wie in allen Dingen auch im Digitalen, „die Dosis das Gift mache.“ „Man kann mit allen Dingen, gesund oder ungesund umgehen“, lautet die schulterzuckende Antwort, als stünden auch im Fall von digitaler Nutzung jede Art von Konsumszenario offen, die jeder Person offenstehe.

Aber stimmt das im Fall von privater Datensicherheit auch? Ja, es geht bei privaten Daten ums Privatleben einer Person, aber in seiner Form, wie es externalisiert und anderen zugänglich wird. Die Nutzung digitaler Endgeräte ist im heutigen Setup untrennbar mit Data Privacy verbunden. Und Data Privacy ist kein Konsumgut, wie beispielsweise Schokolade, wovon man sicher mehr oder weniger gönnen kann. Es ist eine Beziehung. Eine Beziehung zu denjenigen, die auf der anderen Seite die eigenen Daten erhalten, lesen, verwahren, verwenden und vielleicht auch veräußern.

Jede industrielle Revolution hat ihre Symbolkrankheit

Dass dies Auswirkungen auf den Menschen hat, dem die Daten angehören, ist verständlich. Und es ist nicht zu verharmlosen, wie die Geschichte zeigt. Wie bei allen Innovationen, die ein neues Zeitalter einläuten, ist man bei der Digitalisierung geneigt, alles als neu, nie dagewesen und nicht vergleichbar zu begreifen.

Letztlich befinden wir uns aktuell aber ‚nur‘ in einer weiteren industriellen Revolution. Zu den früheren Umwälzungen lassen sich strukturelle Vergleiche ziehen. Und bisher jede industrielle Revolution hat ihre Symbolkrankheit hervorgebracht. Besonders deutlich wurde dies bei der ersten industriellen Revolution, die uns Mechanisierung, große Fabriken und die Arbeitsform der industriellen Fabrikarbeiter hervorbrachte, der notorisch unter schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen leidend einer Tuberkulose Epidemie zum Opfer fiel und zu einem so kritischen Ausfallfaktor für das Geschäft wurde, dass man begann ihre Heilung zu finanzieren. (Lungenheilstätten wie Beelitz bei Berlin zeichnen ein so eindrucksvolles wie schauriges Bild dieser Zeit.)

Nach der Programmierung für die automatisierte Produktion befinden wir uns mit Verbreitung von digitalen Endgeräten als Haushaltsgeständen und der Vernetzung über das Internet in der vierten industriellen Revolution.

Wenn wir heute an die spezifischen gesundheitlichen Nachteile und Krankheiten unserer Zeit denken, kommen in erster Linie die hohen Zahlen an Rücken- und Nackenschmerzen oder anderer Muskel- und Skelettkrankheiten in den Sinn.
Weitgehend unbeachtet ist der Bezug zur steigenden Zahl mentaler Probleme. Psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen wie Depression, Burnout, ADS, ADHS, Demenz, Dissoziative Störungen, Angststörungen und Suchtverhalten verursachen großen und weit verbreiteten Leidensdruck in unserer Zeit.

Ist es nicht naheliegend hier einen Bezug zur prägenden Technologie und gesellschaftlichem Wandel dieser Epoche zu sehen?

Daten als „Zahlungsmittel“?

Aber selbst, wenn dieser Zusammenhang bestritten würde oder Unternehmen diese Verantwortung nicht annehmen möchten, geht es sie doch etwas an. Jedes digital aktive Unternehmen ist involviert, wenn die eigene Kundschaft vermeintlich „privat“ mit den Konsequenzen der Veräußerung ihrer eigenen Daten kämpft. Denn wer mit Problemen ringt, wird zurückhaltender in seinem Verhalten, auch beim Teilen personenbezogener Daten. Unternehmen wollen diese Daten, weil sie heute zum Kern von Marketing-, Sales- und sogar Produktionsaktivitäten geworden sind.

Wenn wir über höhere Privacy-Anforderungen sprechen, reden wir also nicht nur über Ausgaben in Form von Investitionen in Datenhaltung und -sicherheit. Weniger personenbezogene Daten im Zugriff zu haben, übersetzen Unternehmen auch in weniger Sichtbarkeit im Marketing, geringere Konversion im Sales und schlechtere Marktanpassung in der Produktstrategie. Kurz: weniger Umsatz.

Es ist nicht weit hergeholt, Privacy-Maßnahmen sehr eng an Geld zu koppeln, sie vielleicht sogar als modernes Zahlungsmittel zu bezeichnen. User „bezahlen“ mit dem Teilen ihrer Kundendaten. So wie die Plattformen Facebook, Instagram, TikTok und Co. ohne Gebühren genutzt werden können, da die so gesammelten Daten ein weitaus wertvolleres Asset sind. (Einst nüchtern übersetzt in: „Wenn du für einen Service nichts zahlen musst, bist du das Produkt.“)

Wenn Privates nicht mehr privat ist

Das Verständnis, dass man Daten oder sonst für die unversehrte Privatheit zahlen muss, zeigt sich auch bei Newsportalen, die das Zulassen von Tracking oder dem Abschluss eines Abos zu einem harten Entweder-Oder für die Leserbeziehung machen.

Hier ist die Gleichsetzung bereits passiert: Daten lassen sich scheinbar in Geld aufwiegen. Und Frage von Datenschutz zu einem unemotional beleuchtbaren Prozess: So wie Geld nicht an sich schlecht ist; es kommt darauf an, was man damit tut; so sind auch gesammelte Daten nicht Schlechtes, es komme eben darauf an, wer sie mit welchem Gewissen und Absichten behandele.

Das ist jedoch eine grundfalsche Analogie, weil sich Geld und Daten in einem ganz wesentlichen Punkt unterscheiden. Geld (Fiatgeld!) ist schlicht nur bedrucktes Papier oder eine Nummer auf einem Konto. Es ist unverbunden mit den besitzenden Personen und kann daher frei zwischen ihnen hin und her fließen.

Mit Daten verhält es sich vollkommen anders, und genau davon geht die ganz besondere Missbrauchsmöglichkeit und Bedrohung aus.

Persönliche Daten sprechen nicht nur über die eigene Person und das eigene Leben; Sie gehören zur Person selbst, sie sind ein digitaler Teil der eigenen Selbsts. Und jegliche Art von ungeplanter Verwendung, Manipulation oder „Enteignung“ bedeutet einen Angriff auf die Identität. Das macht Angst, und dies zurecht.

Introducing „Privacy Anxiety“

Denn Datenbroker und Geschäftsmodelle wie Cambridge Analytica sind kein surrealer Alptraum, sondern die Realität.

Zusätzlich wirkt der inklusive und demokratisierende Effekt des Internets als massiver Verstärker:

Bedrohung durch den Verlust privater Daten und damit einen Angriff auf das Recht am eigenen Selbst ist kein Luxus-Problem einzelner Privilegierter. Es ist auch kein Milieuproblem, wie die Turberkulose der Arbeitsklasse im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Onlinehandel, Social Media, Smartphones gehören überall, jederzeit und durch alle Altersstufen zum Alltag. Es betrifft jede und jeden und ist somit ein Massenphänomen.

In diesem Kontext zeichnet sich eine neue psychische Störung ab, die zur Krankheit unserer Zeit werden kann. Sie hat noch keinen Namen, aber analog zu den Phänomenen „Nuclear Anxiety“ und „Climate Anxiety“ bietet es sich an, sie „Privacy Anxiety“ zu nennen. Die Angst vor dem Verlust der Privatheit.

Was Privacy Anxiety Unternehmen kostet

Was in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) steht, gilt für Unternehmen aktuell als rechtlicher Anforderungskatalog für den verantwortungsvollen Schutz von Kundendaten. Sie argumentiert, dass nach dem Verursacherprinzip der Datensammler Verantwortung trägt. Dieser muss ein gewisses Qualitätsniveau in Sicherheit und Kommunikation einhalten, sobald das erste Datenpaket gelesen und gespeichert wird. Diese Ebene zwischen Gesetzgeber und Unternehmen lässt die Dimension des Kunden als Hauptperson aber gänzlich außer Acht.

Die Frage nach der Zukunftssicherheit der Kundenbeziehungen ist aber mindestens ebenso wichtig wie DSGVO-Perspektive der Rechtssicherheit. Und rechtssicher bedeutet nicht, dass die Kunden zufrieden beziehungsweise gesund sind.

Privacy Anxiety hat letztlich zur Folge, dass Unternehmen ihre Geschäftsbasis verlieren. Sie erhalten weniger Daten, sie registrieren weniger Käufe und verlieren Kunden, die sich mit dem Status quo nicht mehr sicher oder nicht zum Agieren fähig fühlen. Jedes Geschäft, online oder offline, benötigt vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Kunden und Kundinnen. Ist das Vertrauen getrübt, unterwandert worden oder zerstört, hat die Geschäftsbeziehung keine Basis.

Aus diesem Grund sollten Unternehmen aus purem Eigennutz und Selbsterhaltung die Initiative ergreifen und mit hohen Privacy Standards sowie authentischer und ehrlicher, zugewandter Kundenkommunikation Privacy Anxiety entgegenwirken.
Warum insbesondere Onlinehändler einen neuen Zugang zum Privacy benötigen, um ihr Geschäft nicht dauerhaft zu schädigen, ist Thema des nächsten Artikels.

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[thaumázō] –  wundern, bewundern, erstaunen (altgriech.)

 

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Zugleich hat sie als Journalistin, Autorin und Projektmanagerin vom klassischen Verlagswesen, über Indie-Publikationen und Self-Publishing viele sehr verschiedene Publikationen aus der Taufe gehoben.

 

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